Pandemien können auch Demokratien eindämmen. Ein Plädoyer.
(Diesen Artikel hatte ich zuerst in Englisch in der Times of Malta veröffentlicht.)
Covid-19 rüttelt an der Demokratie: Manche Impfbefürworter wollen den Impfgegnern am liebsten den Mund verbieten, Impfgegner demonstrieren und reklamieren Toleranz für ihre Minderheitsmeinung. Diktaturen reagieren leichter auf die Pandemie. Und trotzdem bleibt die Demokratie die beste Staatsform. Ein Plädoyer.
Spaltet Covid-19 die Gesellschaft? Ende November haben 62 Prozent der Schweizer für das Covid-Zertifikat gestimmt, 38 Prozent dagegen. Ist die Schweiz als direkte Demokratie deswegen gespalten? Oder nehmen wir die deutsche Bundestagswahl: Die SPD bekam 206 Sitze, CDU/CSU 197. Bei nur neun Sitzen Unterschied stellt die SPD den Kanzler. Ist Deutschland gespalten?
Nein, diese Gesellschaften leben einfach das Demokratieprinzip: Die Mehrheit entscheidet. Atomare Abschreckung ja oder nein, EU-Osterweiterung ja oder nein, Euro ja oder nein – politische Themen spalten oft. Selbst bei einem Ergebnis von 51 zu 49 Prozent gilt, was die Mehrheit sagt; die Minderheit hat sich danach zu richten. Wobei die Minderheit jederzeit Mehrheiten bilden kann, indem sie die Menschen überzeugt.
Haben totalitäre Regime bei Seuchen bessere Karten?
Auf den ersten Blick dämmen autokratische Regime eine Seuche natürlich leichter ein als Demokratien: Ist in einem Ort in China ein Einziger infiziert, verbringt er seine Quarantäne im Hausarrest, die Behörden schweißen seine Türen zu und er bekommt das Essen über einen Korb durchs Fenster gereicht. Und dann wird im weiteren Umkreis alles dicht gemacht. Da gibt es keine Bewegungsfreiheit, keine Meinungsfreiheit, keine Entscheidungsfreiheit – da sagt der oberste Entscheider, wo es langgeht. Die anderen gehorchen.
Darauf ist China auch mächtig stolz: In einem Video demonstriert das Regime den Vergleich zu den USA. Eine US-Vertreterin sagt darin: „Ich will nur meine Freiheit“, während die chinesische Krankenschwester betont: „In Krisen sind wir vereint.“ Individualismus versus Kollektivismus. Sollten wir auch totalitär werden, um die Pandemie einzudämmen?
Pluralismus zwingt nicht, sondern überzeugt
Wegen der Krise wackeln die Demokratien, und es ist wichtiger denn je, sie zu verteidigen. Demokratien sind pluralistisch, und diese Vielfalt von Meinungen muss, wie es oft heißt, „ertragen werden“ – was so klingt, als sei der Totalitarismus besser. Da ist es nötig, daran zu erinnern, was für eine großartige Errungenschaft der westlichen Welt es ist, dass Menschen in Freiheit leben, im Wettbewerb um die beste Lösung stehen und einander überzeugen.
Wir haben das verbriefte Recht der Meinungsfreiheit und auf den Schutz der Würde des Menschen. Der Staat sperrt uns nicht ein und richtet uns nicht hin, wenn wir unsere Meinung vertreten oder der Regierung widersprechen. Das kann man sich in China nicht erlauben.
Dafür dauert in Demokratien der Meinungsbildungsprozess länger. Wir diskutieren, wir wägen ab. Lobbyisten vertreten ihre Positionen, Ausschüsse und Gremien tagen. Die Zeit zerrinnt, und dann stellen wir fest: Oh, da, auf diesem früheren Stand der Dinge, da war eine Möglichkeit, aber wir haben noch nicht zu Ende diskutiert und haben deshalb nicht so rasch gehandelt, wie es möglich gewesen wäre. Dieses Schneckentempo ist ein Preis für die Freiheit, hat aber auch seine Qualität.
Ist Impfen etwas Individuelles oder Kollektives?
Auch die Frage nach dem Für und Wider einer Impfpflicht beantwortet nicht ein autokratischer Herrscher, sondern über diese Frage debattiert die Gesellschaft – in Gestalt zahlreicher Parteien, Gruppen und Einzelstimmen. Und auf zahlreichen Foren wie Medien, Internet-Kanälen, Parlamenten und auch Demonstrationen.
Nun ist Covid-19 eine weltumspannende, hochansteckende Krankheit. Zum Glück ist es nicht so tödlich wie Ebola. Das Virus lernt und verwandelt sich. Es ist ein Virus, gegen das wir uns als Gesellschaft wehren sollten – und nicht nur als Vielzahl Einiger. Die Gesellschaft der Individuen sollte hier tatsächlich kollektiv handeln. Es ist nicht nur die Entscheidung des Einzelnen: Lasse ich mich impfen oder nicht? Das Impfmittel ist ein Segen und schützt das Individuum bestmöglich. Aber es ist auch die bisher einzige bekannte Chance, auch die Gesellschaft und so die Menschheit zu schützen, die Lage unter Kontrolle zu bringen. Und es geht um viel! Denn wir bewegen uns derzeit - und noch für einige Zeit - auf sehr dünnem Eis, von der Wirtschaft, den Finanzen bis hin zur Gemeinschaft. Jedes Individuum steht daher in der Pflicht, vom Gemeinwesen Schaden abzuwenden. Man kann die Freiheit nicht als die Freiheit des Einzelnen denken, das funktioniert nicht. Man kann die Freiheit nur als die Freiheit aller denken, als sozusagen Freiheit des Volkes, Freiheit der Gemeinschaft derer die sich zu einem Staatswesen einer Demokratie zugehörig fühlen. Natürlich steht es jedem frei, sich dem nicht anschließen zu wollen, sich lieber in eine Diktator zu begeben. Wenn einem aber die Freiheit aller wirklich am Herzen liegt, weil die Freiheit aller auch meine Freiheit garantiert, und die meiner Familie, meiner Enkel, dann ist es natürlich eine Freiheit mit zwei Seiten einer Medaillie. Auf der einen Seite steht Freiheit und auf der anderen Solidarität. Die Freiheit des Einzelnen ist ein Recht, ja, aber auch auch eine Pflicht, eine Verantwortung, der Aufruf zur Solidarität. Freiheit ist unteilbar.
Und ja, dieser Kollektivgedanke ist mit der Demokratie vereinbar. Demokratie bedeutet nicht, dass wir alle einer Meinung sein müssen, das wäre auch illusorisch. Demokratie bedeutet auch nicht, dass jeder rücksichtslos macht, was er will. Sondern eine Demokratie hat moderne Gesetze und Spielregeln und sie bedeutet, dass die Mehrheit entscheidet und die Minderheit dies respektiert.
Entsprechend lässt sich eine Impfpflicht für das Gemeinwohl auch demokratisch vertreten. Letztlich kollidieren die Rechtsgüter Volksgesundheit, Gesundheitssystem, Wirtschaft und Wohlstand einerseits und die Freiheit des Individuums andererseits.
Freiheit und Solidarität
Ja, wir haben sogar die Freiheit, uns der Impfpflicht unter Inkaufnahme der Konsequenzen zu widersetzen, denn es ist kein physischer Impfzwang wie in einer Diktatur. Auch könnten wir sagen: Mir geht’s prima, alle um mich herum haben sich impfen lassen, das genügt – also brauche ich keine Impfung. Aber solidarisch ist es nicht, sondern ziemlich egoistisch.
Letztlich sind wir nicht alleine auf der Welt. Wir sind Teil einer zivilisierten Gemeinschaft: Wir brauchen den Müllmann, den Postboten, den Schornsteinfeger und sicher auch mal die Krankenschwester. Die Freiheit der Demokratie meint nicht, dass wir unsolidarisch sind – im Gegenteil. Gerade weil wir von Menschen umgeben sind, kommt es auf uns alle an.
Die Natur hat uns im Griff, nicht wir sie
Durch das Virus zeigt uns die Natur, dass wir sie nicht grenzenlos beherrschen können. Stattdessen hat die Natur uns im Griff. Ein klitzekleines Ding, mit bloßem Auge nicht zu sehen, hält Milliarden in Schach. Es führt Staatsformen an die Grenzen ihrer Belastbarkeit. Diese Erkenntnis weckt den Ruf nach Stärke, denn wir müssen uns ja wehren! Doch wir, einschließlich der aggressiven Demonstranten, würden uns sehr wundern, wären schockiert, wenn die Demokratie plötzlich weg wäre. Und darum ist es wichtig zu erkennen: Auch Demokratien können sich gegen Covid-19 wehren.
Die Demokratie ist schützenswert
Demokraten nennen die Demokratie gerne „wehrhaft“. Im Augenblick scheint es eher nötig, sie wie einen weißen Elefanten „schützenswert“ zu nennen. Um die Demokratie zu schützen, sollten wir uns auf einen Wesenskern der Demokratie besinnen: Es gibt keine Rechte ohne Pflichten. Neben der Selbstverwirklichung und Selbstbestimmung, neben dem Individualismus mit unseren vielen Freiheitsrechten haben wir eben auch Verantwortung.
Und das heißt: Wir müssen nicht die Meinung der Mehrheit teilen, aber wir müssen ihren Entscheidungen folgen. Das ist die Pflicht der Minderheit. Minderheiten sind wichtig und nicht schlecht zu behandeln, das ist eine Frage der Kultur. Umgekehrt haben diese der Mehrheit ihren Respekt zu zollen. Mehrheit oder Minderheit, eine Demokratie ist ein Wechselspiel der Mehrheiten. Nur so funktioniert sie auch.
Machen wir uns bewusst, wie hart die Demokratie errungen wurde und schlimm es für jedermann und die nächsten Generationen wäre, in einer Diktatur zu leben. Wir können uns nicht nur das rauspicken, was uns gerade passt, sondern Demokratie verlangt Commitment. Wer nicht unter einem Herrscher oder einer herrschenden Clique leben will, sollte anerkennen: Die Entscheidungen der Mehrheit gelten für alle. Und wir müssen denen vertrauen, die ein Mandat haben – denn sie hat die Mehrheit beauftragt. Gerade, wenn die pandemische Lage rasche Entscheidungen fordert.
Wie schon Winston Churchill sagte: "Niemand behauptet, dass Demokratie perfekt ist oder der Weisheit letzter Schluss. In der Tat wurde gesagt, dass Demokratie die schlechteste Regierungsform ist, mit Ausnahme all der anderen Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert wurden."
Reinhold M. Karner, FRSA ist Unternehmensberater, Unternehmer, Dozent an Hochschulen und Universitäten, populärwissenschaftlicher Autor für Medien (u. a. Times of Malta), Aufsichtsrat, Beirat und Chairman von Firmen und Investmentgesellschaften, sowie Fellow und Fellowship Connector des ältesten Thinktanks der Welt, der in London ansässigen The RSA (the Royal Society for Arts, Manufactures and Commerce, gegr. 1754) für Österreich und Malta.
P. S. Ich freue mich, wenn Sie meine Artikel teilen. Für eine mediale Veröffentlichung bzw. den Nachdruck ist eine kurze Anfrage zwecks Zustimmung Voraussetzung.
Ein Urhebervermerk mit dem Hinweis auf den Autor und den Link auf diese Website www.RMK.org ist stets erforderlich.
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Pandemien können auch Demokratien eindämmen. Ein Plädoyer.
(Diesen Artikel hatte ich zuerst in Englisch in der Times of Malta veröffentlicht.)
Covid-19 rüttelt an der Demokratie: Manche Impfbefürworter wollen den Impfgegnern am liebsten den Mund verbieten, Impfgegner demonstrieren und reklamieren Toleranz für ihre Minderheitsmeinung. Diktaturen reagieren leichter auf die Pandemie. Und trotzdem bleibt die Demokratie die beste Staatsform. Ein Plädoyer.
Spaltet Covid-19 die Gesellschaft? Ende November haben 62 Prozent der Schweizer für das Covid-Zertifikat gestimmt, 38 Prozent dagegen. Ist die Schweiz als direkte Demokratie deswegen gespalten? Oder nehmen wir die deutsche Bundestagswahl: Die SPD bekam 206 Sitze, CDU/CSU 197. Bei nur neun Sitzen Unterschied stellt die SPD den Kanzler. Ist Deutschland gespalten?
Nein, diese Gesellschaften leben einfach das Demokratieprinzip: Die Mehrheit entscheidet. Atomare Abschreckung ja oder nein, EU-Osterweiterung ja oder nein, Euro ja oder nein – politische Themen spalten oft. Selbst bei einem Ergebnis von 51 zu 49 Prozent gilt, was die Mehrheit sagt; die Minderheit hat sich danach zu richten. Wobei die Minderheit jederzeit Mehrheiten bilden kann, indem sie die Menschen überzeugt.
Haben totalitäre Regime bei Seuchen bessere Karten?
Auf den ersten Blick dämmen autokratische Regime eine Seuche natürlich leichter ein als Demokratien: Ist in einem Ort in China ein Einziger infiziert, verbringt er seine Quarantäne im Hausarrest, die Behörden schweißen seine Türen zu und er bekommt das Essen über einen Korb durchs Fenster gereicht. Und dann wird im weiteren Umkreis alles dicht gemacht. Da gibt es keine Bewegungsfreiheit, keine Meinungsfreiheit, keine Entscheidungsfreiheit – da sagt der oberste Entscheider, wo es langgeht. Die anderen gehorchen.
Darauf ist China auch mächtig stolz: In einem Video demonstriert das Regime den Vergleich zu den USA. Eine US-Vertreterin sagt darin: „Ich will nur meine Freiheit“, während die chinesische Krankenschwester betont: „In Krisen sind wir vereint.“ Individualismus versus Kollektivismus. Sollten wir auch totalitär werden, um die Pandemie einzudämmen?
Pluralismus zwingt nicht, sondern überzeugt
Wegen der Krise wackeln die Demokratien, und es ist wichtiger denn je, sie zu verteidigen. Demokratien sind pluralistisch, und diese Vielfalt von Meinungen muss, wie es oft heißt, „ertragen werden“ – was so klingt, als sei der Totalitarismus besser. Da ist es nötig, daran zu erinnern, was für eine großartige Errungenschaft der westlichen Welt es ist, dass Menschen in Freiheit leben, im Wettbewerb um die beste Lösung stehen und einander überzeugen.
Wir haben das verbriefte Recht der Meinungsfreiheit und auf den Schutz der Würde des Menschen. Der Staat sperrt uns nicht ein und richtet uns nicht hin, wenn wir unsere Meinung vertreten oder der Regierung widersprechen. Das kann man sich in China nicht erlauben.
Dafür dauert in Demokratien der Meinungsbildungsprozess länger. Wir diskutieren, wir wägen ab. Lobbyisten vertreten ihre Positionen, Ausschüsse und Gremien tagen. Die Zeit zerrinnt, und dann stellen wir fest: Oh, da, auf diesem früheren Stand der Dinge, da war eine Möglichkeit, aber wir haben noch nicht zu Ende diskutiert und haben deshalb nicht so rasch gehandelt, wie es möglich gewesen wäre. Dieses Schneckentempo ist ein Preis für die Freiheit, hat aber auch seine Qualität.
Ist Impfen etwas Individuelles oder Kollektives?
Auch die Frage nach dem Für und Wider einer Impfpflicht beantwortet nicht ein autokratischer Herrscher, sondern über diese Frage debattiert die Gesellschaft – in Gestalt zahlreicher Parteien, Gruppen und Einzelstimmen. Und auf zahlreichen Foren wie Medien, Internet-Kanälen, Parlamenten und auch Demonstrationen.
Nun ist Covid-19 eine weltumspannende, hochansteckende Krankheit. Zum Glück ist es nicht so tödlich wie Ebola. Das Virus lernt und verwandelt sich. Es ist ein Virus, gegen das wir uns als Gesellschaft wehren sollten – und nicht nur als Vielzahl Einiger. Die Gesellschaft der Individuen sollte hier tatsächlich kollektiv handeln. Es ist nicht nur die Entscheidung des Einzelnen: Lasse ich mich impfen oder nicht? Das Impfmittel ist ein Segen und schützt das Individuum bestmöglich. Aber es ist auch die bisher einzige bekannte Chance, auch die Gesellschaft und so die Menschheit zu schützen, die Lage unter Kontrolle zu bringen. Und es geht um viel! Denn wir bewegen uns derzeit - und noch für einige Zeit - auf sehr dünnem Eis, von der Wirtschaft, den Finanzen bis hin zur Gemeinschaft. Jedes Individuum steht daher in der Pflicht, vom Gemeinwesen Schaden abzuwenden. Man kann die Freiheit nicht als die Freiheit des Einzelnen denken, das funktioniert nicht. Man kann die Freiheit nur als die Freiheit aller denken, als sozusagen Freiheit des Volkes, Freiheit der Gemeinschaft derer die sich zu einem Staatswesen einer Demokratie zugehörig fühlen. Natürlich steht es jedem frei, sich dem nicht anschließen zu wollen, sich lieber in eine Diktator zu begeben. Wenn einem aber die Freiheit aller wirklich am Herzen liegt, weil die Freiheit aller auch meine Freiheit garantiert, und die meiner Familie, meiner Enkel, dann ist es natürlich eine Freiheit mit zwei Seiten einer Medaillie. Auf der einen Seite steht Freiheit und auf der anderen Solidarität. Die Freiheit des Einzelnen ist ein Recht, ja, aber auch auch eine Pflicht, eine Verantwortung, der Aufruf zur Solidarität. Freiheit ist unteilbar.
Und ja, dieser Kollektivgedanke ist mit der Demokratie vereinbar. Demokratie bedeutet nicht, dass wir alle einer Meinung sein müssen, das wäre auch illusorisch. Demokratie bedeutet auch nicht, dass jeder rücksichtslos macht, was er will. Sondern eine Demokratie hat moderne Gesetze und Spielregeln und sie bedeutet, dass die Mehrheit entscheidet und die Minderheit dies respektiert.
Entsprechend lässt sich eine Impfpflicht für das Gemeinwohl auch demokratisch vertreten. Letztlich kollidieren die Rechtsgüter Volksgesundheit, Gesundheitssystem, Wirtschaft und Wohlstand einerseits und die Freiheit des Individuums andererseits.
Freiheit und Solidarität
Ja, wir haben sogar die Freiheit, uns der Impfpflicht unter Inkaufnahme der Konsequenzen zu widersetzen, denn es ist kein physischer Impfzwang wie in einer Diktatur. Auch könnten wir sagen: Mir geht’s prima, alle um mich herum haben sich impfen lassen, das genügt – also brauche ich keine Impfung. Aber solidarisch ist es nicht, sondern ziemlich egoistisch.
Letztlich sind wir nicht alleine auf der Welt. Wir sind Teil einer zivilisierten Gemeinschaft: Wir brauchen den Müllmann, den Postboten, den Schornsteinfeger und sicher auch mal die Krankenschwester. Die Freiheit der Demokratie meint nicht, dass wir unsolidarisch sind – im Gegenteil. Gerade weil wir von Menschen umgeben sind, kommt es auf uns alle an.
Die Natur hat uns im Griff, nicht wir sie
Durch das Virus zeigt uns die Natur, dass wir sie nicht grenzenlos beherrschen können. Stattdessen hat die Natur uns im Griff. Ein klitzekleines Ding, mit bloßem Auge nicht zu sehen, hält Milliarden in Schach. Es führt Staatsformen an die Grenzen ihrer Belastbarkeit. Diese Erkenntnis weckt den Ruf nach Stärke, denn wir müssen uns ja wehren! Doch wir, einschließlich der aggressiven Demonstranten, würden uns sehr wundern, wären schockiert, wenn die Demokratie plötzlich weg wäre. Und darum ist es wichtig zu erkennen: Auch Demokratien können sich gegen Covid-19 wehren.
Die Demokratie ist schützenswert
Demokraten nennen die Demokratie gerne „wehrhaft“. Im Augenblick scheint es eher nötig, sie wie einen weißen Elefanten „schützenswert“ zu nennen. Um die Demokratie zu schützen, sollten wir uns auf einen Wesenskern der Demokratie besinnen: Es gibt keine Rechte ohne Pflichten. Neben der Selbstverwirklichung und Selbstbestimmung, neben dem Individualismus mit unseren vielen Freiheitsrechten haben wir eben auch Verantwortung.
Und das heißt: Wir müssen nicht die Meinung der Mehrheit teilen, aber wir müssen ihren Entscheidungen folgen. Das ist die Pflicht der Minderheit. Minderheiten sind wichtig und nicht schlecht zu behandeln, das ist eine Frage der Kultur. Umgekehrt haben diese der Mehrheit ihren Respekt zu zollen. Mehrheit oder Minderheit, eine Demokratie ist ein Wechselspiel der Mehrheiten. Nur so funktioniert sie auch.
Machen wir uns bewusst, wie hart die Demokratie errungen wurde und schlimm es für jedermann und die nächsten Generationen wäre, in einer Diktatur zu leben. Wir können uns nicht nur das rauspicken, was uns gerade passt, sondern Demokratie verlangt Commitment. Wer nicht unter einem Herrscher oder einer herrschenden Clique leben will, sollte anerkennen: Die Entscheidungen der Mehrheit gelten für alle. Und wir müssen denen vertrauen, die ein Mandat haben – denn sie hat die Mehrheit beauftragt. Gerade, wenn die pandemische Lage rasche Entscheidungen fordert.
Wie schon Winston Churchill sagte: "Niemand behauptet, dass Demokratie perfekt ist oder der Weisheit letzter Schluss. In der Tat wurde gesagt, dass Demokratie die schlechteste Regierungsform ist, mit Ausnahme all der anderen Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert wurden."
Hinweis für Redaktion: China-Video wird erwähnt beim ZDF.
Reinhold M. Karner, FRSA
(RMK Denkwerkstatt)
DER·ERFOLG·REICH·MACHER
© 18. Dezember 2021
Reinhold M. Karner, FRSA ist Unternehmensberater, Unternehmer, Dozent an Hochschulen und Universitäten, populärwissenschaftlicher Autor für Medien (u. a. Times of Malta), Aufsichtsrat, Beirat und Chairman von Firmen und Investmentgesellschaften, sowie Fellow und Fellowship Connector des ältesten Thinktanks der Welt, der in London ansässigen The RSA (the Royal Society for Arts, Manufactures and Commerce, gegr. 1754) für Österreich und Malta.
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